Gerne lernen

Klingt unvorstellbar, geradezu utopisch. Für manche.​

Andere verstehen, was gemeint ist. Sie kennen das Gefühl selbst noch, wie großartig es sein kann, diese schier unstillbare Neugier zu befriedigen. ​

Wenn es gelingt, ist es einer dieser glänzenden Schlüssel zum Glück. Für Kinder, für Eltern, für alle, die das beobachten und daran teilhaben dürfen.​

Muss man ständig lernen?

Faule Schülerin liegt zu Hause mit ihrem Gesicht auf dem Schulbuch Wenn ich muss, ohne selbst Interesse daran zu haben, macht das keine Freude. Dann ist es anstrengend, wird im besten Fall mühsam durchgezogen oder aber immer öfter verschoben. Auf später, auf irgendwann oder auch gar nie. Eigenes Interesse, von innen heraus, ist also ein wesentlicher Faktor. Intrinsische Motivation ist das Fachwort dazu. Wem es gelingt, die aktiv zu halten, der/die hat schon gewonnen, und zwar eine Menge.
Junge mit Wasserwaage hat Spaß an der Arbeit mit Holz in der feriencamp-Werkstatt Ich werde nicht müde zu wiederholen, dass wir Menschen von Natur aus neugierig sind, lernen wollen. Und ja, wenn wir diesem ursprünglichen Drang nachgehen, lernen wir immer, jeden Tag etwas Neues, oder vertiefen Wissen/Können, das wir uns grundsätzlich schon angeeignet haben. Es ist dieser Drang, verstehen zu wollen, wie Dinge funktionieren, wozu man sie verwenden kann. Aus der anderen Richtung gedacht – auch das Nachdenken und Ausprobieren, welches Werkzeug, welche Handhabung ich brauche, um zu schaffen, was ich mir erdacht habe.

Das Gehirn neugierig halten

Unser Gehirn mag gewisse Dinge, sucht direkt danach. Einige haben mit der Ausschüttung von Dopamin zu tun. Das ist ein wichtiger Botenstoff, der viele Aufgaben hat. Unter anderem wird damit unser Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Dieses ist dafür zuständig, dass wir uns gut fühlen, zufrieden sind. Entsprechend sind wir geneigt, Dinge, die diese Dopamin-Freisetzung begünstigen, immer wieder zu tun. Das heißt jetzt nicht, dass Dopamin etwas Schlechtes ist. Ganz im Gegenteil, wir brauchen es unbedingt, im richtigen Maß. Die Frage ist aber: Womit wollen wir es freisetzen, welche Verhaltensweisen bieten wir dazu an? Und genau hier liegt der Hund oft begraben. Besonders effektiv lässt sich dieses System nämlich mit schnellen Belohnungen aktivieren, wie es bei Computer-/Handyspielen der Fall ist. Drei Klicks und es gibt Konfettiregen. Fünfmal wischen und die Fanfaren bejubeln mich. Nice.

Wenn ich mit den Händen etwas mache, Rätsel in einem Buch löse, Spiele mit anderen Mitspielern spiele, die mir gegenüber sitzen und mir ihre Emotionen dazu zeigen, ist es wesentlich schwieriger, in den Belohnungsmodus zu kommen. Von der Ausdauer, die es braucht, um komplexe Probleme zu lösen, die vernetztes Denken verlangen und wiederholtes Ausprobieren verschiedener Alternativen, bei denen es auch Fehlschläge gibt, reden wir hier noch gar nicht.

Unser Hirn neigt dazu, sich dem zuzuwenden, was leichter geht. Das ist evolutionär bedingt und hat damals im Urwald sehr viel Sinn gemacht. Sonst wäre die Menschheit verhungert, wenn sie immer nur pedantisch auf die schwersten Herausforderungen hingearbeitet hätte, anstatt den Apfel zu nehmen, der direkt vor der Nase hängt. Wir leben aber heute in einer anderen Welt und die Herausforderungen sind andere geworden. Innovationen von Ausprobierer*innen und Denker*innen haben uns hierher gebracht, immer neue Probleme gelöst. Und auch immer weitere sind entstanden, werden uns erst jetzt klar. Was also erwartet uns, wenn wir kollektiv aufhören, uns mit schwierigen Problemlösungen zu beschäftigen, weil es so viel einfacher geht, sich gut zu fühlen, egal was rundherum in der realen Welt passiert?

Ein Lösungsansatz für die Belohnungs­falle

Wenn ich als junger Mensch lerne, dass ich immer leicht zum Erfolg komme, Anstrengung keinen zusätzlichen Nutzen hat, wird im schulischen als auch im beruflichen Kontext bald ein Punkt erreicht sein, an dem es eng wird. Dort, wo mehr Ausdauer gefragt wäre, wo mehr vernetztes Denken gebraucht wird, um verschiedene Wissensgebiete, in denen ich mir schon vorher Wissen angeeignet habe, miteinander zu verbinden. Um etwas Neues, Kreatives entstehen zu lassen, braucht es einen freien, beweglichen Geist, der auch einmal ohne Aussicht auf sofortige Belohnung einfach so dahinarbeitet. Der den Prozess des Ergründens, des Erfindens zu schätzen gelernt hat. Für mich selbst, weil es Spaß macht, weil es mir Energie gibt, etwas zu erschaffen.

Es hilft also ungemein, wenn wir uns von Ablenkungen, wie sie meist in Form von kleinen Bildschirmen daherkommen, fernhalten und andere Beschäftigungen in den Vordergrund stellen. Kinder können das selbst nur sehr eingeschränkt. Hier sind wir Eltern gefragt. Es liegt an uns, die Umgebung der Kinder so zu gestalten, dass sie erschaffende Denkmuster kennen. Dass sie verschiedene Wege kennen, ihre Belohnungsmuster zu aktivieren (was nebenbei bemerkt auch für die emotionale Entwicklung in jungen und auch späteren Jahren große Vorteile bringt). Dass sie daraus sinnvolle Handlungsmuster ableiten können und schlicht die Wahl haben, sich zwischen verschiedenen Wegen zu entscheiden. Die Wahl treffen sie dann später ohnehin selbst. Aber ob sie eine Wahl haben, liegt bis zu einem gewissen Grad an uns, als Aufbereiter*innen von Möglichkeiten.

Gebt euren Kindern Optionen. Lasst Freiräume offen. Reduziert schnelle Belohnungen, in die unser Gehirn so verliebt ist. Legt ihnen Dinge in die Nähe, die Geheimnisse und gedankliche Abenteuer bereithalten, die man erforschen kann.

Wenn man will.

Und ihr werdet sehen, sie wollen.

Vater und junge Schuelerin mit Schulrucksack mit Blick auf Sonnenuntergang
Eva
Eva
Mutter, Psychologin, spielverliebt und im Herzen Naturwissenschaftlerin, die immer alles noch ein bisschen genauer wissen will.
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